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Männer im Tutu und auf Spitze:
„Les Ballets Trockadero de Monte Carlo“ gastiert im Schillertheater

Fragen an den künstlerischen Leiter Tory Dobrin und die Ballettmeisterin Pamela Pribisco


The Fabulous Ballet Boys
Ein Abend mit den „Trocks“ in London


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Der Schwan trägt Bart


Männer im Tutu und auf Spitze:
„Les Ballets Trockadero de Monte Carlo“ gastiert im Schillertheater

Nur das grelle Licht des Scheinwerfers ist auf der gänzlich schwarzen Bühne zu sehen. Musik setzt ein. Und läuft. Und läuft. Der Lichtschein ist verwirrt und beginnt, die Bühne nach Leben abzusuchen. Das Publikum schließt sich der Suche mit wachsendem Gekicher an. Und nun fliegen endlich die Federn: Paul Ghiselin alias Ida Nevasayneva tanzt die Rolle des sterbenden Schwans mit einer groben Zartheit, die wohl auch Michel Fokin, der diesen Part 1905 für die Primaballerina Anna Pavlova schuf, ein bewunderndes Schmunzeln entlockt hätte. Ununterbrochen regnet es Federn aus dem üppigen Tutu, und der Schwan tanzt mit verzweifelter Miene seinem Ende entgegen. Als er nur noch humpelnd in Bewegung ist und sich letztendlich selbst (!) den Hals bricht, ist das Publikum den Tränen nah. Diese entstehen weniger aus Rührung, sondern eher aus Lachkrämpfen, die das Wasser in die Augen treiben, und werden mit tosendem Applaus begleitet.

Hier Klicken!Die Ballettkompanie „Les Ballets Trockadero de Monte Carlo“ hat mit dem berühmtesten Solo ihres Repertoires und ihrer Einzigartigkeit wieder einmal selbst die konservativsten Besucher überzeugt. Das ist nicht unbedingt einfach, denn die „Trocks“ werfen alle Erwartungen über den Haufen, die sonst an klassisches Ballett gestellt werden. Die Truppe besteht ausschließlich aus Männern, und diese zeigen, in Tutu, Spitzenschuhen und viel Make-up, eine Paarung aus exzellenter tänzerischer Technik und komödiantischen Elementen, die weltweit für Begeisterung sorgt.

„Schwanensee“ ist für die Welt des Balletts so etwas wie Madonna für die Popmusik. Ein Muss. Er wird selbstverständlich in der Originalchoreografie getanzt, wie übrigens alle Stücke, doch erst durch die reichliche Zugabe von Slapstick entsteht echter „Pas de Trock“: Nach wunderschönen Paar- und Einzelkombinationen entdeckt man unter den Schwänen plötzlich Zankereien und (Bühnen-)ohrfeigen. – Eine der Akteusen hat plötzlich einfach gar keine Lust mehr und fängt an, lässig Kaugummi zu kauen. Prinz Siegfrieds Fehlbarkeit wird spätestens dann deutlich, wenn er seine geliebte Odette, statt sie hoch in die Lüfte zu heben, mit einem lauten Plumps auf den Boden fallen lässt. Die Elfen in „Les Sylphides“ schweben sanft auf Spitze über die Bühne, doch auch durch die eigentlich blickdichten Strumpfhosen lassen sich stark behaarte Männerbeine erkennen. Auf diesen liegt bei vielen Stücken ein besonders strenger Blick des Publikums, das um so gnadenloser urteilt, wenn es bei einem Meilenstein der Tanzgeschichte wie „Paquita“ von Marius Petipa beim Pas de deux weniger als die vorgesehenen 32 Drehungen sieht. Die Truppe erfüllt die Erwartungen, auch bei modernen Stücken wie „Cross Currents“ von Merce Cunningham. Die „Trocks“ sind bisher die einzige Kompanie – außer Cunninghams eigener –, die das Stück aufführen dürfen. Die Musikrechte dafür waren allerdings zu teuer, und so musste umdisponiert werden: Nun begleitet eine eigenproduzierte Klangcollage die Aufführung, und die Lacher aus dem Zuschauerraum werden immer lauter, wenn Blechdosen oder Gurgelgeräusche erklingen.

Die Gruppe, allen voran ihr künstlerischer Leiter Tory Dobrin, hat sich schon immer zu helfen gewusst, um ihr Konzept zu bewahren. 1974 begann alles mit drei Tänzern in der damals bereits sehr künstlerisch umtriebigen Drag-Queen-Szene in New York. Die Idee, professionellen Tanz und Comedy mit dem Geschlechtertausch zu verbinden, fand in kürzester Zeit eine stabile Fangemeinde. Jeder Tänzer besitzt jeweils ein männliches und ein weibliches Pseudonym, um so noch mehr Möglichkeiten des Spiels zu bewahren.

Die ersten Auftritte fanden in Lofts statt, zu den großen Bühnen wechselte man, nachdem einige Produzenten Interesse bekundeten, für die „Trocks“ zu arbeiten, und die renommierte Presse sie mit Lob überschüttete. Seitdem reißt der Erfolg nicht ab. Weltweite Tourneen mit langen Gastspielen in Südafrika, Japan und Südamerika sind mittlerweile Standard.

Mit über 200 Auftritten im Jahr sind die Mitglieder des Ensembles aber auch einer großen Verletzungsgefahr ausgesetzt, die der Ballettmeisterin Pamela Pribisco doppelte Aufmerksamkeit für ihre Schützlinge abverlangt. Gebrochene Füße tauchen, neben den wunden Zehen, immer wieder in der Geschichte der Kompanie auf. Kompensiert wird mit Gastauftritten befreundeter Tänzer und dem Tausch von Rollen innerhalb der Gruppe. Und auch Aids war und ist ein Thema, wenigstens zehn der Mitstreiter starben an den Folgen des Virus. Einer der schmerzlichsten Verluste war der Tänzer und Kostümbildner Mike Gonzales, dem das aktuelle Programm gewidmet ist.

Die „Trocks“ unterziehen sich permanenter Weiterbildung, etwa durch Elene Kunikova, Kennerin des russischen Tanzstils wie keine andere, oder Leanne Benjamin vom Londoner „Royal Ballet“, die schmunzelnd sagt: „Ich liebe es, mit ihnen zu arbeiten, denn was sie tun, ist niemals Blasphemie oder lächerlich – ihre Art der Parodie ist die größte Form der Verehrung für das klassische Ballett.“
Peter Polzer / Olaf Sobottke

Fragen an den künstlerischen Leiter Tory Dobrin und die Ballettmeisterin Pamela Pribisco

Tory, wie ist es, wenn man wie du so lange dabei ist?
Tory: Prima. [lacht] Ich habe ja nie für jemand anderes gearbeitet. Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit. Für mich war es gut, denn mein persönlicher Verantwortungsbereich hat sich verändert. Ich fing als Tänzer an und habe dann langsam aber sicher mehr und mehr administrative und künstlerische Aufgaben innerhalb der Organisation übernommen.

Das Schwierigste dürfte sein, auf der Bühne komisch zu wirken. Wie erarbeitet ihr Komik?
Tory: Unsere ganze Vorgehensweise ist nicht unbedingt eine intellektuelle. Es kommt mehr aus dem Gefühl. Deshalb ist es auch sehr schwer zu beschreiben, was wir tun. Man sieht etwas, und wenn es gut rüberkommt, dann geht man in diese Richtung. In der Minute, in der etwas ausgedacht oder nicht echt aussieht, wissen wir, dass es die falsche Richtung war. Wir geben allen unseren Tänzern viele Freiheiten, sich so auszudrücken, wie sie das natürlicherweise tun würden. Nur wenn man sich natürlich ausdrückt, kommt Echtheit heraus. Um die eigene Persönlichkeit zu entwickeln, braucht es vor allem sehr viel Freiheit.

Pamela, die Jungs sagen, dass du immer die Ruhe in Person bist. Was bringt dich zur Weißglut?
Pamela: Leute, die nicht wissen, wofür sie bezahlt werden. Leute, die keine Ratschläge annehmen. Und Leute, die eine begrenzte Sichtweise darauf haben, was das Produkt ist. Oder gar kein Verständnis für das Produkt haben, aber glauben, dass sie eines haben. Daraus entsteht eine chaotische Situation, in der es sehr schwierig ist zu arbeiten. So etwas versuchen wir sofort zu bereinigen.

Wie hilfst du den Jungs dabei, ihre Persönlichkeit zu entwickeln?
Pamela: Bei den meisten wissen wir nicht, welche Stärken in ihnen stecken, einfach weil wir sie nicht kennen. Nur sie selbst wissen es. Was wir tun, ist, ihnen die gewünschte Situation zu beschreiben. Dann überlassen wir es ihnen.

The Fabulous Ballet Boys

Ein Abend mit den „Trocks“ in London

„Coopers“ ist ein Edelitaliener im Londoner Stadtteil Soho. Ein- und Ausatmen ist das Einzige, was es hier umsonst gibt. Die langjährige „Trockaderos“-Agentin Gillian Newson erwähnt gleich beim Betreten des Etablissements mit einer lässigen Handbewegung, dass auch Madonna und der Rest der Londoner Celebreties hier aus- und eingehen. Heute abend entdecken wir zwar kein bekanntes Gesicht an der Bar, dafür aber an unserem Tisch: Direkt nach der Vorstellung sind wir mit einem Teil des weltberühmten Ensembles, der Agentin, dem künstlerischen Leiter Tory Dobrin und den sechs Kolleginnen und Kollegen von Berliner Tageszeitungen hierhergezogen.

„Unsere treuesten Fans sitzen ausgerechnet in Japan“, erzählt unser Tischnachbar Fernando, der seit zwei Jahren in der Truppe Pirouetten dreht. „Jedes Jahr sind wir dort zwei Monate auf Tournee, aber Tokio ist nicht meine Stadt. Für mich gibt’s dort nur Show und Hotelzimmer.“ Ganz anders in Südafrika: Agentin Gillian ist immer noch ganz begeistert, wie ihre Schützlinge dort von der schwulen Szene aufgenommen wurden. „Jeder hatte jeden Tag ein Date“, berichtet sie schmunzelnd, fügt aber ernst hinzu, dass durch die dortige politische Lage ein freies Bewegen oft gefährlich war.

Rund 45 Wochen im Jahr sind die 14 Trockaderos auf Tournee. Nach dem viertägigen Londoner Kurzgastspiel geht es weiter durch Italien und danach erstmals nach Berlin. Gegründet wurden die „Trocks“ vor über 25 Jahren in New York, wo auch heute noch das künstlerische Zuhause der Tänzer aus derzeit sechs Ländern ist.

„Das ,Monte Carlo‘ im Namen der Kompanie soll das Glamouröse an uns betonen“, erzählt Fernando schmunzelnd. „Dieser Name hat mich allerdings auf meiner Suche nach der Truppe auch lange in die Irre geführt. Als sie dann aber vor zwei Jahren in Madrid gastierten, bin ich nach der Vorstellung Backstage gegangen und wurde gleich zum Training am nächsten Tag eingeladen.“ Bereits seit Jahren Profitänzer, fing nun für ihn doch noch einmal alles von vorne an: Denn um die Karriere auf die (Fuß-)spitze zu treiben, ist eine nahezu vollständige Umstellung von Bewegung und Ausdruck vonnöten. Der Wechsel zwischen den Geschlechtern wird durch die unterschiedliche Ausbildung für Mädchen und Jungen erschwert. „Männer werden im Ballett auf Sprünge und Kraft trainiert. Doch jetzt ging es um das leichtfüßige Trippeln und die Schwerelosigkeit einer Ballerina“, erinnert sich Fernando. Unter den strengen Augen der Ballettmeisterin Pamela Pribisco und mit Hilfestellungen der erfahrenen Kollegen vollzog sich der stetige Wandel von Muskelsträngen und Körpergefühl.

Brian, der seit sechs Jahren ein „Trockadero“ ist, meldet sich vom anderen Ende des Tisches. „Pamela ist einzigartig, ich kann mir keine bessere Mentorin vorstellen“, schwärmt er. „Sie verpasst keine unserer Vorstellungen und kommentiert am nächsten Morgen beim Training jeden einzelnen von uns – so haben wir die Möglichkeit, jeden Tag tänzerisch zu wachsen.“ – „Sie besitzt eben auch ein komödiantisches Gespür“, ergänzt Jason, der dritte Tänzer in unserer Runde. „Sie kennt den richtigen Zeitpunkt für eine perfekte Pirouette oder eine trashige Pose, um aus der Strenge der Vorlage auszubrechen.“

Denn nicht nur der Geschlechtertausch, auch die Persiflage berühmter Choreographien sind die Säulen des Programms. In der langen Geschichte der Kompanie gab es auch Tänzer, die männlichen Spitzentanz nicht dauerhaft als Comedy betreiben wollten. „Oh, Bart ...“ kommentiert Gillian Newson unsere Nachfrage nach Bart de Block mit gefrorenem Lächeln. Der einstige Solostar der Deutschen Oper in Berlin brachte mit innovativen Arbeiten schon früh den männlichen Spitzentanz auf die ganz großen Bühnen. In seiner Zeit bei den „Trocks“ habe er die Truppe zwar tänzerisch in neue Dimensionen geführt, doch eine dauerhafte Ehe sei nicht möglich gewesen, erzählt Gillian. Am obligatorischen Kleid lag es bestimmt nicht, denn Bart begeistert auch heute noch mit seinen Solostücken im Tutu.

Hier Klicken!„Die Leute sollen sehen, dass wir keine echten Frauen sind“, sagt Fernando. Deshalb gibt es keine falschen Brüste, sondern eher üppige Brustbehaarung. Und privat? Nur wenige aus der Truppe haben auch eine Drag-Identität jenseits der Bühne. Doch für keinen der Tänzer ist das Tutu ein reines Arbeitskostüm. Es erfordert eine besondere Hingabe, um das Kleid nicht einfach nur zu tragen, sondern auch in ihm zu wirken. Der Spitzentanz bringt die Tänzer schnell an ihre körperlichen Grenzen, und um die oft blutigen Zehenspitzen zu ertragen, braucht es ein besonderes Maß an Liebe zum Beruf. Den wenigen heterosexuellen Tänzern wurde seit Bestehen der Truppe der fortwährende Rollentausch wohl oft eine zu große Belastung. „Vielleicht ist das der Grund, weshalb die ganze Truppe heute schwul ist“, vermutet Fernando mit einem Grinsen. Die „Trockaderos“ sind schon sehr gespannt auf ihr langes Gastspiel in Berlin, einer Stadt, die den meisten von ihnen noch völlig fremd ist. Die freie Zeit der Tänzer ist jedoch sehr knapp bemessen, und das Nachtleben könnte zuviel der wichtigen Energie rauben, die am nächsten Tag wieder das Publikum zum Tosen bringen soll. Die „Trocks“ werden also eher in den schwulen Szenecafés anzutreffen sein –, und der smarte Tänzer Jason wird, statt sich, wie üblich, bei AOL einzuwählen, lieber eine nette Plauderei mit dem jungen Mann am Nebentisch beginnen.pp/os

  • „Les Ballets Trockadero de Monte Carlo“ 7.11.-3.12. im Schillertheater, Bismarckstr. 110, Charlottenburg , Karten-Tel.: 0180-515 25 30 oder 61 40 11 11 Kartenpreis: 42–90 DM
  • „Programm A“ 7.11.–19.11. Di–Sa 20 Uhr, So 19 Uhr, am 19.11. auch 15 Uhr;
  • „Programm B“ 21.11.–3.12. Di–Sa 20 Uhr, So 19 Uhr, am 3.12. auch 15 Uhr
  • im Internet: www.bb-promotion.com/trocks

>Verlosung:
Wir verlosen 10 x 2 Karten für die Vorstellung am 9.11. – Postkarte mit Stichwort „Trocks“ bis zum 7.11. an die SIEGESSÄULE, Kulmer Str. 20a, 10783 Berlin


Fre, 27. Okt 2000

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